GESUND&LEBEN-Autorin Sonja Loos hatDiabetes und lebt ein sportliches,
intensives Leben. Und sie ist Lehrerin undkümmert sich darum, dass Kinder
mit Diabetes ganz „normale“ Kinder sein dürfen.
Foto: Alexander Konas, FotoS: Istockphoto/ Fertnig, ZVG
Michelle und ich haben zwei große Gemeinsamkeiten: Wirsind beide an derselben Schule – sie als Schülerin der 2B undich als Lehrerin – und wir sind beide Typ 1-Diabetikerinnen.Unsere Wege kreuzten sich das erste Mal im vergangenenHerbst, als ich in ihrer Klasse supplierte und mir ihr Sensorzum Blutzuckermessen am Oberarm auffiel. So kamen wir insGespräch und fachsimpelten über Diabetes. IhreKlassenkameradinnen und -kameraden lauschten mit offenemMund. Seither grüßen wir uns immer, wenn wir uns auf demGang über den Weg laufen. Letzte Woche fragte ich sie, obich sie für einen Bericht interviewen darf. Michelle ist einburschikoses Mädchen mit wachem, offenem Blick. DieZwölfjährige beantwortet meine Fragen ausführlich undentspannt. In den Sommerferien zwischen zweiter und dritterKlasse Volksschule war sie unglaublich durstig. Bis zu achtLiter Flüssigkeit – anfangs noch Säfte, später dannausschließlich Wasser – trank sie jeden Tag und musste auchdementsprechend häufig aufs Klo. Als sie ihren Opa – selbstTyp 2-Diabetiker – besuchte, maß der kurzerhand ihrenBlutzucker. Er war so hoch, dass das Messgerät den Wertnicht mehr anzeigen konnte. Im Krankenhaus wurde derVerdacht bestätigt: Diabetes mellitus Typ 1. Die nächsten dreiWochen wurde Michelle auf ihr Insulin eingestellt und imUmgang mit ihrem Diabetes geschult. Als sie nach den
Sommerferien in die Schule zurückkam, wurde sie dort von
einer mobilen Kinderkrankenschwester vom Team MOKI unterstützt, die die Lehrerinnen und Lehrer schulte, so dass alle mitder Veränderung in Michelles Leben gut umgehen konnten. Wie es Michelle in der Schule damit ging? Gut, meint sie. Sie seiimmer offen damit umgegangen und hätte dadurch nie irgendwelche Probleme gehabt.
Was ist Diabetes?
Diabetes ist der Überbegriff für Störungen im Zuckerstoffwechsel des Körpers. Die Bezeichnung „Diabetes mellitus“ kommtaus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „honigsüßer Durchfluss“, was sich auf die Ausscheidung des Zuckers überden Harn und dessen süßen Geschmack bezieht. Diabetes ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der nicht ausreichend oderkein Insulin vorhanden ist. Insulin ist ein Hormon, das von den Langerhansschen Inselzellen in der Bauchspeicheldrüseproduziert wird. Es ist der Schlüssel, der es dem Zucker aus der Nahrung ermöglicht, aus der Blutbahn in die Körperzellen zugelangen. In den Körperzellen wird der Zucker dann zu Energie verstoffwechselt. Ist nicht ausreichend oder kein Insulinvorhanden, so steigt der Zucker im Blut an und der Betroffene leidet unter Energiemangel und Durst.
Zwei Formen des Diabetes mellitus sind die häufigsten: Diabetes mellitus Typ 1 und Diabetes mellitus Typ 2.
Das Leben von Diabetikern und Gesunden unterscheidet sich kaum – darin sind sich Michelle und ich einig. Dennoch ist dasLeben als Diabetikerin ungleich komplizierter. Michelle ist eine gut geschulte Diabetikerin mit einer Insulinpumpe. DieInsulinpumpe ist ein elektronisches Gerät, das ständig über einen Schlauch und einen Katheter mit dem Körper verbunden istund kontinuierlich Insulin abgibt. Sie imitiert also die Bauchspeicheldrüse von gesunden Menschen. Was die Pumpe jedoch(noch) nicht kann: einen Regelkreis bilden. Die Bauchspeicheldrüse gesunder Menschen schüttet nämlich immer dann Insulinaus, wenn Kohlenhydrate gegessen werden und der Zuckergehalt im Blut ansteigt. Steigt bei Diabetikern der Blutzucker,kann die Pumpe nicht darauf reagieren. Diabetiker müssen also regelmäßig ihren Blutzucker kontrollieren und dannentsprechend handeln: Ist der Blutzucker zu hoch, muss er durch Insulin gesenkt werden. Ist er zu niedrig, muss manKohlenhydrate essen/trinken, um den Blutzucker zu erhöhen. Als Diabetiker kommt man also nie zur Ruhe. Auch dieNahrungsaufnahme kann nie nebenbei erfolgen. Die aufgenommenen Kohlenhydrate müssen bedacht und mit
der entsprechenden Menge Insulin aufgewogen werden. Während Stress den Blutzucker erhöht, senkt Sport ihn. Es ist alsoganz schön schwierig, seinen Blutzucker durchgängig im normalen Bereich zu halten. Kommt ein Kind mit Diabetes in dieKlasse, sollte das gesamte schulische Betreuungsteam – am besten in einer Teamsitzung oder einem Lehrerabend –informiert werden. Ab einem gewissen Alter können die Kinder ihren Diabetes größtenteils selbstständig handeln, imKindergarten und in der Volksschule kann es jedoch notwendig sein, dass gewisse Tätigkeiten an die Betreuungspersonendelegiert werden – etwa die Messung des Blutzuckers oder das Verabreichen von Insulin. Diese Hilfeleistung ist freiwillig undnur nach Schulung durch einen Arzt oder einer diplomierten Pflegeperson möglich.
Kindergarten und Hort
Mobile Kinderkrankenpfleger schau-en in den ersten Wochen ein paarMal in der Schule vorbei und infor-mieren die Lehrerinnen und Lehrer.Während in Wien mobile Kinder-krankenpflege vom Fonds SozialesWien finanziert wird, gibt es in Nie-derösterreich noch kein einheitlichesSystem.
Aber in vielen Gemeinden einen gu-ten Ansatz: Sie finanzieren in denKindergärten eine Stützkraft, die dasKind mit der chronischen Erkran-kung extra betreut. Das ist sehrwichtig, denn Kinder mit chronischenErkrankungen haben keinen An-spruch auf das verpflichtende Kin-dergartenjahr. Chronisch kranke Kin-der haben auch keinen Rechtsan-spruch auf Nachmittagsbetreuung.So geraten Eltern in die unangeneh-me Situation, Bittsteller sein zu müs-sen, um ihren Kindern die Teilhabeam Alltag und sich selbst einen ge-regelten beruflichen Alltag ermögli-chen zu können.
Belastete Eltern
Katharina G. ist Mutter einer heute elfjährigen Tochter mit Diabetes.Ihre Tochter war dreieinhalb Jahre alt, als die Krankheit festgestelltwurde. Im Klinikum wehrte sich das Kind gegen den Insulin-Pen,bekam nach zwei Tagen eine Insulinpumpe und konnte das Kran-kenhaus eine Woche später verlassen. Mama Katharina kündigteihre gut bezahlte Arbeit und nahm eine halbe Stelle als Sekretärinan, nur drei Gehminuten vom Kindergarten ihrer Tochter entfernt.Damit ist sie nicht allein. Studien belegen den Einfluss von Diabe-tes auf die familiäre und berufliche Situation. So schränken vierProzent der Väter und 31 Prozent der Mütter mit einem diabeti-schen Kind ihre berufliche Tätigkeit ein oder geben sie gar auf. Beijüngeren Kindern sind es gar 44 Prozent aller Mütter, die beruflichumsatteln. Die psychische Belastung, erzählt Frau G., sei extrem.Urlaubstage und Überstunden werden schnell aufgebraucht, da ihreAnwesenheit bei zahlreichen Veranstaltungen in Schule und
Kindergarten notwendig sind. „Man ist als Familie sehr allein gelas-sen.“ Freunde, die auf die Tochter aufpassen, machen sich rar, dieNächte werden durch die Blutzuckermessungen kurz und derSchlaf oberflächlich. Ihr Kind ist mittlerweile elf Jahre alt und be-sucht die 1. Klasse eines Gymnasiums. Ihren Diabetes kann siebald selbstständig managen.
Schulungen für Kids
Während für erwachsene Diabetiker regelmäßig von der Kranken-kassa bezahlte Kuren angeboten werden, gibt es für Kinder bei-spielsweise von Selbsthilfeorganisationen organisierte Diabetes-Camps.
Demnächst wird es auch in Österreich eine Reha für Kinder mitDiabetes geben. Dafür sind mehrere Zentren in Planung, beispiels-weise in Bad Erlach, wo ab Herbst Kinder mit Diabetes aufgenom-men werden. Mindestens genauso wichtig sind die in der Peer-Gruppe ausgetauschten Erfahrungen zum Diabetes und das Ge-fühl, mit seiner Erkrankung nicht alleine zu sein.
Sonja Loos
Faktenbox Symptome
Vielen Menschen in Österreich ist (noch) nicht bewusst,dass auch Kinder und Jugendliche an Diabetes erkrankenkönnen. Deshalb kommen viele erst mit einer lebensbe-drohlichen Stoffwechselentgleisung ins Krankenhaus. Ös-terreich steht dabei im internationalen Vergleich sehrschlecht da. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf früheWarnsignale zu achten. Folgende Symptome sind die ers-ten Diabetes-Warnzeichen im Kindes- und Jugendalter:
-viel Durst und in der Folge
-häufiges Wasserlassen bzw. bei kleineren Kinderneventuell Bettnässen
-Müdigkeit und Kraftlosigkeit
-ungewollter Gewichtsverlust, wenngleich das oft nichtfestzustellen ist
erschienen in GESUND & LEBEN IN NIEDERÖSTERREICH 07+08//2019