FotoS: gottfried müllner, zvg
Von einem Tag auf den anderen ist plötzlich alles anders. Ein Unfall, eine Krankheit oder eine private Tragödie kann angepeilte Lebens- ziele oder Karrieren in Luft auflösen. Manche Menschen fallen in ein „schwarzes Loch“, andere entwickeln Lösungswege für scheinbar ausweglose Situationen. Sie arrangieren sich neu, schöpfen wieder Kraft und handeln. Bei den Olympischen Spielen des Behinderten- sports, den Paralympics, beweisen Menschen trotz ihrer herausfor- dernden Lage eindrucksvoll, wie Sport ihnen geholfen hat, aus der Krise zu kommen.
Der lange Weg zurück
Die paralympischen Spiele sind auch das Ziel von Andreas Ernho- fer. Der Deutsch-Wagramer sitzt seit einem Badeunfall im Sommer 2014 im Rollstuhl und erinnert sich noch ganz genau an seinen Schicksalstag: „Beim Sprung in einen See brach ich mir durch die Wasseroberflächenspannung drei Halswirbel. Ich konnte plötzlich meine Arme und Beine nicht mehr bewegen.“ Zum Glück reagieren seine Freunde blitzschnell und ziehen ihn aus dem Wasser. Nach der Not-Operation beginnt für ihn im Rehabilitationszentrum Weißer Hof in Klosterneuburg der lange Weg zurück in den Alltag. Wäh- rend der sechsmonatigen Reha findet Andreas Ernhofer auch seine ersten Kontakte zum Behindertensport. Er schließt sich dem Roll-
stuhlrugby-Team an schafft es bis ins Nationalteam. „Gerade zu Beginn ist ein Mannschaftssport perfekt geeignet. Hier kann man sich mit seinen Teamkollegen unterhalten, die mit den gleichen Problemen konfrontiert sind. Auch über Themen, über die man mit Freunden nicht reden könnte“, berichtet Andreas Ernhofer.
„Das will ich auch erleben“
Seinen großen Kampfgeist stellt der junge Mann aber nicht nur beim Sport unter Beweis. Nach einem halben Jahr unterbricht er die Rehabilitation, um den Anschluss des Schuljahres nicht zu verpassen. In nur einem Semester absolviert er dank der Un- terstützung seiner Freunde den Lernstoff eines ganzen Schuljahrs. In den Sommerferien kehrt Andreas Ernhofer zurück an den Weißen Hof. Im darauffolgenden Jahr maturiert er und hat bereits die nächste Herausforderung vor Augen: „Durch die Welt- meisterin Sabine Weber-Treiber und ihren Trainer kam ich während meiner Zeit am Weißen Hof auch mit dem Schwimmsport in Kontakt. Als mir Sabine dann von ihren Erlebnissen bei den Paralympics erzählt hat, haben meine Augen zu leuchten begon- nen und ich wusste sofort: Das will ich auch erleben! Nach der Matura habe ich im November 2016 mit dem Training begonnen.“
Sensation
Die ersten Erfolge lassen dann nicht lange auf sich warten. Nach nur einem halben Jahr stellt Andreas Ernhofer bereits seinen ersten österreichischen Rekord auf. Beim ersten internationalen Großevent, den Europameisterschaften 2018 in Dublin, sorgt er als Neueinsteiger für die ganz große Sensation aus rot-weiß-roter Sicht: Er sichert sich auf Anhieb die Bronzemedaille über 50 Meter Brust. „Ich war komplett überwältigt und konnte es anfangs gar nicht realisieren. Da wusste ich, dass ich mich künftig voll und ganz auf den Schwimmsport konzentrieren will.“
Seit August 2019 ist Andreas Ernhofer Heeressportler, was den Trainingsalltag für ihn erleichtert. Mit dem Ziel der paralympi- schen Spiele vor Augen arbeitet der junge Schwimmer tagtäglich hart daran sich weiterzuentwickeln: Der 22-Jährige trainiert fünf Mal pro Woche für ein bis zwei Stunden im Wasser, hinzu kommen Kraft- und Mentaltraining. „Sabine und ich trainieren fast immer gemeinsam. In den Pausen besprechen wir uns und ich hole mir viele wertvolle Tipps von ihr. Sie hilft mir mit ihrer Erfahrung weiter“, schwärmt Ernhofer von seiner Trainingspartnerin Sabine Weber-Treiber. Die Weltmeisterin von 2017 gibt das Lob gleich wieder retour: „Andi hat ein unglaubliches Auge für Details. Er sieht Sachen, die mir selbst nicht auffallen. Im Trai- ning pushen wir uns dann gegenseitig und geben uns Halt, der uns im Wettkampf zugute kommt. Das ist unbezahlbar!“
„Bereit, hart zu trainieren“
Vor wenigen Wochen sorgt Andras Ernhofer für ein äußerst erfolgreiches Debüt bei den Weltmeisterschaften in London. Der Student erreicht drei Top-Ten-Platzierungen, darunter zwei Finalteilnahmen mit den Rängen sechs und sieben. „Ich bin über- glücklich, dass ich meine Leistung abrufen und meine tolle Form bestätigen konnte. Es hat mir gezeigt, dass ich in der Welt- spitze angekommen bin.“ Nach einer kurzen Trainingspause startet der Spitzenschwimmer in die Vorbereitung auf seine High- lights im Jahr 2020: die Europameisterschaften in Madeira sowie die Paralympics in Tokio. „Ich bin bereit, dafür sehr hart zu trainieren, um die nächsten Erfolge feiern zu können“, ist Andreas Ernhofer voller Tatendrang.
Werner Schrittwieser