In der Pilotenausbildung werdenSimulatoren ganzselbstverständlich eingesetzt. Inder Medizin setzt sich diesesKonzept nur langsam durch.
Im Untergeschoss des Landesklinikums Hochegg befindet sich die wahrscheinlich ungewöhnlichste KrankenhausabteilungNiederösterreichs. Das hat mehrere Gründe. Erstens wechseln die Räume mehrmals im Monat ihre Funktion. Manchmal han-delt es sich um eine Akutabteilung, in der Unfälle behandelt werden. Dann werden sie als Geburtenstation genutzt. Manchmalals Aufwachbereich für Patienten nach ihrer Operation. Und sehr oft zieht kurzfristig eine Intensivabteilung ein, die Frühgebo-rene versorgt. Der zweite Grund dafür, dass die Abteilung so ungewöhnlich ist, sind die Patienten. Sie werden stets liegendzur Behandlung transportiert und nicht mit richtigen Medikamenten, sondern bloß mit Kochsalzlösung behandelt. Ein weitererGrund sind die Umstände, unter denen das Ärzte- und Pflegepersonal arbeitet: Das Team wird bei der Arbeit von Kamerasund Mikrofonen überwacht und jeder Handgriff genau analysiert.
Sicherheit
Der Leiter und Gründer dieser ungewöhnlichen Abteilung ist Prim. Dr. Helmut Trimmel, MSc. Er war der Erste in Niederöster-reich, der sich dafür einsetzte, die Sicherheit seiner Patienten durch Simulationstrainings zu erhöhen: „Bei Linienpiloten ist esvöllig normal, dass sie regelmäßig in Simulatoren Extremfälle trainieren, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Bei Ärz-
ten setzt sich das erst in letzter Zeit langsam durch.“
Deshalb begann er im Jahr 2007 mit dem ersten Teamtraining an einer Puppe und gründete 2009 dasNÖ Zentrum für medizinische Simulation und Patientensicherheit am Landesklinikum Hochegg. Die Pa-tienten sind Puppen voller modernster Technik, die einen Puls haben, den man an verschiedenen Stel-len wie dem Hals oder dem Unterarm erfühlen kann. Sie machen Atemgeräusche, die man auch miteinem Stethoskop abhören kann. Sie husten, röcheln, schreien, haben Asthmaanfälle und sogar einensimulierten
Blutdruck.
Puppen
80.000 Euro kostet einer von Trimmels hochtechnischen Patienten. In Hochegg können die
Mediziner an einem Frühgeborenem, einem Neugeborenem, einem Kind, einem erwachsenen Mannnamens „Sim-Man“ und einer schwangeren Frau namens „Sim-Mom“ trainieren. Bei
letzterer können die Ärzte sogar einen Kaiserschnitt durchführen. Außerdem gibt es zwei Ersatzpup-pen von Erwachsenen und zwei Neugeborene, die für Reanimationstrainings verwendet werden. Da-durch kann eine sehr breite Palette an Simulationen angeboten werden. Das bedeutet auch, dass die
16 Mitarbeiter, die in dem Zentrum tätig werden, Experten auf verschiedensten Gebieten sein müssen.Den größten Teil stellen zwar Fachärzte und Fachpflegepersonen für Anästhesie und Intensivmedizin,aber auch Gynäkologen, Internisten, Neurologen und Psychologen stehen beratend zur Seite. Allengemein ist eine Ausbildung zum Instruktor. Dadurch verfügen sie über ein fachlich hohes Qualifikati-onsniveau, das das Zentrum in Hochegg österreichweit auszeichnet.
Kosten
Ähnliche Zentren gibt es im AKH Wien, Linz, Graz, Feldkirch und Zams. Die Instruktoren der meistendieser Einrichtungen wurden in Hochegg ausgebildet, ist Primarius Trimmel stolz: „Wir haben es ge-schafft, dass in Österreich das Simulationstraining in der Ausbildung für Anästhesisten verpflichtendvorgeschrieben ist.“ Vor allem für junge Patienten bedeutet das mehr Sicherheit, erklärt Trimmel: „Inder Kinderanästhesie ist es schwer, Personal für Zwischenfälle auszubilden, weil es Gott sei Dank we-nige gibt. Unser Sim-Baby schafft hier Abhilfe.“ Ein europaweites Alleinstellungsmerkmal haben dieNÖ Kliniken, weil sie dieses Training für alle Mitarbeiter in Akutdisziplinen in ihrer Arbeitszeit anbieten.Auch die Kosten für das Training werden von der NÖ Landeskliniken-Holding übernommen.
Kompetentes Team
Träger des Zentrums ist der Verein „NÖ Zentrum für Medizinische Simulation und Patientensicherheit“,der die Räume am Landesklinikum Hochegg anmietet. Das Team besteht zur Gänze aus langjährig er-fahrenen Fachärzten und Fachpflegepersonen der Kliniken. „Das Landesklinikum Hochegg ist jetztauch ein Ausbildungszentrum für Patientensicherheit und hat damit einen zusätzlichen Stellenwert be-kommen“, freut sich Trimmel. Das SimTeam bietet aber nicht nur hier Simulatortraining an, sondern inbesonderen Fällen auch in anderen Krankenhäusern. Detailinformationen findet man unter www.sim-zentrum.at. Der wichtigste Teil eines Simulatortrainings ist das Debriefing, also die Nachbesprechung.Die Videoaufzeichnungen werden noch einmal analysiert und in der Gruppe besprochen. Fehler wer-den diskutiert und korrekte Verhaltensalternativen erarbeitet. „Die Teilnehmer müssen sich ihres Verhal-tens bewusst werden und selbst erkennen, was schlecht gelaufen ist. Dann lernen sie wirklich“, weißder Zentrumsleiter.
Hoher Frauenanteil
Die Teilnehmenden werden Stresssituationen ausgesetzt, die für ihr berufliches Umfeld typisch sind:mit vielen Leuten, in kritischen Situationen. Sie haben den Druck, das Richtige zu tun. So lernen sieihre „human factors“ kennen und erfahren, wie sichere Kommunikation unter Stress funktioniert, wieTeamarbeit besser klappt und dass es eine klare Teamstruktur braucht, um gemeinsam die besten Ent-scheidungen zu treffen. Mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Trimmel und seinTeam so bereits ausgebildet. Der Frauenanteil überwiegt deutlich: Männer haben mehr Hemmungen,um kritische Situationen „unter Beobachtung“ zu trainieren. Wahrscheinlich gilt das auch für Piloten,wie Primarius Trimmel meint: Sie haben jedoch eine gesetzliche Verpflichtung zum Simulatortraining.
Markus Feigl
Prim. Dr. Helmut Trimmel,
MSc, ist Vorstand der
Abteilung für Anästhesie,Notfall- und allgemeine
Intensivmedizin am
Landesklinikum
Wiener Neustadt.
Kernkompetenzen
Die fünf Kernkompetenzen, die im Simulationszentrum Hochegg
vermittelt werden:
-richtige Kommunikation
-Teamkoordination
-Aufgabenorientierung
-Situationsbewusstsein
-Entscheidungsfindung
In Hochegg wird keine Basisausbildung für Anfänger angeboten, sondern ein Training von außergewöhn-lichen Situationen für erfahrenes medizinisches Personal. Wie bei Piloten geht es darum, unerwarteteNotsituationen schnell und sicher bewältigen zu können.
erschienen in GESUND & LEBEN IN NIEDERÖSTERREICH 12/2017