Ohne Freundinnen und Freunde wäre das Leben ziemlich leer. Doch nach welchen Kriterien suchen wir sie aus, was verbindet uns am stärksten mit ihnen und was macht Freundschaften stabil?
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„Freundschaft ist das Einzige auf der Welt, über dessen Nutzen sich alle Menschen einig sind“, schrieb der römische Schriftsteller, Redner und Staatsmann Cicero. Eine solche Einigkeit über Ländergrenzen, Zeiten und Kulturen hinweg scheint auf den ersten Blick keine Fragen über diese Art von menschlicher Beziehung offen zu lassen. In Wahrheit aber hat wahrscheinlich jeder von uns seine eigenen Überlegungen darüber, was Freundschaft für sie oder ihn bedeutet. Und viele haben sich wohl schon Gedanken darüber gemacht, was freundschaftliche von Verwandtschafts- oder Liebesbeziehungen unterscheidet, warum man manche Menschen einfach mehr mag als andere oder weshalb viele Freundschaften wieder enden, während andere ein Leben lang bleiben.
Kinderfreundschaften
Die Wissenschaft definiert Freundschaft nüchtern als „freiwillige Zusammenschlüsse zwischen Menschen, die auf wechselseitiger Intimität und emotionaler Verbundenheit basieren und die sich von Liebesbeziehungen vor allem dadurch unterscheiden, dass keine sexuellen Handlungen stattfinden.“ Gegenseitige Sympathie, Vertrauen und Unterstützung sind die Grundlage unserer Freundschaften, die eben nicht auf Verwandtschaft oder einem sexuellen Verhältnis beruhen.
Freundinnen und Freunde haben wir aber oft schon in frühester Kindheit und die Beziehungen in
diesem Alter scheinen noch nicht von all diesen Werten getragen zu sein. Oder doch? Forschungsergebnisse belegen etwa, dass bereits zwölf bis achtzehn Monate alte Kinder bestimmte Kinder auswählen und sie scheinbar gegenüber anderen be- vorzugen. Das zeigt sich vor allem an ihrem Empathieverhalten: Kinder leiden zum Beispiel mehr mit, wenn sich das bevor- zugte Kind verletzt. Die Kleinen sind offenbar auch noch viel offener für Freundschaften als ältere Kinder oder Erwachsene und weniger anspruchsvoll: „Für jüngere Kinder zählt vor allem die momentane Verfügbarkeit – wer gerade mit ihnen spielt, ist ein Freund“, sagt die Kommunikationspsychologin Mag. Natalia Ölsböck, und sie zeichnet den Bogen, den Freundschaft in verschiedenen Lebensabschnitten für uns nimmt, so: „Im Alter von etwa acht Jahren ist Freundschaft eher einseitig zweckori- entiert. Erst die Zehn- bis Zwölfjährigen sehen Freundschaft als wechselseitige Beziehung, in der man gemeinsam Aktivitäten verfolgt. Im Jugendalter spielen dann charakterliche Eigenschaften eine große Rolle: Eine Freundin oder ein Freund muss zum Beispiel ehrlich, verlässlich und vertrauenswürdig sein.“
Jugend- und Erwachsenenfreundschaften
Gerade im sensiblen Lebensabschnitt der Pubertät sind Freundschaften enorm wichtig für die eigene Entwicklung. So lernen wir, das eigene Selbst zu entdecken und ein tiefes Verständnis für andere Menschen zu entwickeln. „Freundschaften in die- sem Alter sind eine wichtige Vorbereitung für die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit im Erwachsenenalter“, sagt die Psycho- login und erklärt, dass sich diese Beziehungen erst später im Leben in unterschiedliche Rollenbilder aufspalten: Dann, wenn wir lernen, genauer zwischen Kollegen, Nachbarn, Bekannten und Freunden zu differenzieren.
Charakteristisch in Bezug auf Freundschaften im höheren und hohen Alter ist wiederum, dass die Beziehungen stabiler sind, als die von jüngeren Menschen. Alte Menschen knüpfen weniger neue Freundschaften und beenden bestehende auch nicht so leicht wie jüngere. Und das ist gut so, denn wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass keine Freunde zu haben in vielerlei Hinsicht ein Risikofaktor ist, während das Führen freundschaftlicher Beziehungen körperliche, geistige und seelische Gesundheit gewährleistet. Belegt sind zum Beispiel Gesundheitseffekte wie die Förderung des Immunsystems, ein besserer Schutz vor Koronarerkrankungen, eine bessere Krankheits- und Schmerzbewältigung, mehr Stressresistenz und besserer Schutz vor psychischen Erkrankungen.
Zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist
Doch was ist es eigentlich, das einen Menschen zur Freundin oder zum Freund macht und nach welchen Kriterien sucht man sich seine Freunde aus? „Studien belegen, dass sich Freundinnen und Freunde im frühen Erwachsenenalter besonders be- zogen auf Alter, Geschlecht und Bildungsniveau ähneln“, erklärt Natalia Ölsböck. „Genau das gewährleistet dann, dass die Anderen ähnliche Interessen und Einstellungen haben. Ebenso spielen Ähnlichkeiten in Bezug auf Wertvorstellungen und Le- bensstil eine große Rolle, aber auch das, was man ablehnt.“ Die Psychologin betont, dass die Gemeinsamkeiten sich nicht auf alle Lebensbereiche erstrecken müssen. Schließlich ist es ja auch kaum möglich, dass ein Mensch alle individuellen Er- wartungen an Freundschaft und Gemeinsamkeit erfüllen kann, und den meisten Menschen ist das bewusst. So haben viele für unterschiedliche Interessen und Bereiche auch ganz unterschiedliche Freunde – man muss sich nicht in allem ähneln, aber, so Natalia Ölsböck: „Große Differenzen in Bezug auf Werte und Einstellungen machen dauerhafte Freundschaften meist unmöglich.“
Frauen- & Männerfreundschaften
Interessante Unterschiede gibt es bei Frauen- und Männerfreundschaften. Diese zeigen sich schon im Jugendalter. „Frauen haben mehr enge Freundinnen als Männer enge Freunde haben, und ihre Freundschaften verlaufen in der Regel intensiver und zufriedenstellender“, sagt die Psychologin. „Frauen fokussieren sich stark aufeinander und stellen das gemeinsame Ge- spräch in den Vordergrund. Für Männer sind gemeinsame Aktionen wie Sport oder andere Unternehmungen wichtiger als re- den. Und: für erwachsene Männer sind oft Frauen die besten Freunde – nicht selten ist es sogar die eigene Ehefrau, die für einen Mann auch als beste Freundin gilt.“ Noch ein interessantes Detail: Insbesondere Männer mit höherem Sozialstatus zei- gen narzisstische Tendenzen in Freundschaften: „Selbstdarsteller präsentieren gerne, wie viele Freunde sie haben. Sie ge- ben sich dabei betont locker und entspannt, sind aber gleichzeitig distanziert und vermeiden starke Gefühle. Freunde
werden so zum Statussymbol, das einen aufwertet.“
Wie viele Freunde kann man haben?
Apropos viele Freunde: Wie vielen anderen man sich wie nahe fühlt ist auch ein wenig alters- und kulturabhängig. So wird etwa im US-amerikanischen Raum viel schneller von einem „Freund“ gesprochen als bei uns, der Begriff wird also weiter defi- niert. Ebenso bei Kindern: Je jünger sie sind, desto eher und schneller bezeichnen sie einen Kontakt als „ihren Freund“. Bei Untersuchungen, die nach der Menge der Freundinnen und Freunde fragen, zeigt sich, dass die Antworten hier stark von der Art der Fragestellung abhängen. Wird etwa ganz allgemein nach der Anzahl der Freunde geforscht, kommt man zu einem Durchschnittswert von 15. Meist werden hier Begriffe wie Freunde, Bekannte und Befreundete zusammengefasst. Fragt man hingegen nach „besten Freunden“, kommt überwiegend eins bis zwei als Antwort (bei manchen Menschen auch keiner). Und wenn sich die Frage auf „enge Freunde“ bezieht, so werden meist fünf genannt.
I like you
Und wie ist das auf sozialen Medien wie Facebook? Schließlich sprechen wir hier oft von Dutzenden oder gar Hundertschaf- ten von „Freunden“, doch wie unterscheiden sich diese Beziehungen von Freundschaften, die im lebendigen Miteinander ge- lebt werden? „Wie im echten Leben spielt auch hier die Häufigkeit und Intensität der Interaktionen eine Rolle. Je öfter ein „Freund“ meine Beiträge mit einem „Like“ versieht und je mehr Ansichten und Meinungen man teilt, desto intensiver wird die Beziehung“, erklärt Natalia Ölsböck. „Der große Unterschied zu real gelebten Freundschaften liegt darin, dass die Menschen in sozialen Netzwerken nicht einmal ihre wahre Identität preisgeben müssen, um als Freundin oder Freund zu wirken. Hier geht es vielmehr um das Teilen der Meinung und Einstellung, und wer auf diese Weise intensive Unterstützung, Wertschät- zung und Zuwendung erfährt, der braucht nicht einmal die reale Person zu kennen, um freundschaftliche Gefühle zu entwi- ckeln.“ Nur zu logisch, dass dies zwar Gefahren, aber auch Möglichkeiten birgt. Für Menschen, die sich im realen Leben mit Sozialkontakten schwer tun, aber auch für solche, die wider Willen auf sozialem Rückzug sind – etwa weil sie krank oder nicht (mehr) mobil sind – ist das zweifelsohne eine Chance, Freundschaften zu knüpfen. Und oft schon hat sich aus Face- book-Freundschaften auch eine Freundschaft im realen Leben entwickelt.
Was Freundschaften stabil macht
Stellt sich noch die Frage, welche Freunde für das ganze Leben bleiben und was eine Freundschaft so stabil macht, dass sie Jahre, räumliche Entfernung und auch Krisen überdauert. „Ein wesentliches Kriterium stabiler, dauerhafter Freundschaften ist, dass sie für beide als belohnend empfunden wird“, sagt Natalia Ölsböck. „Noch viel wichtiger als gemeinsame Interessen zu haben ist das gegenseitige Interesse aneinander. Die positive, wohlwollende Zuwendung zum anderen ist es, die eine Freundschaft stabil und resistent gegen Schwierigkeiten macht.“ In diesem Sinne noch einmal zurück zu Cicero und seinen Ausführungen über die Freundschaft. „Freunde sind sich nahe, auch wenn sie getrennt sind, sie sind hilfsbereit, auch wenn sie krank sind“, schreibt er, und: „Ja, was unmöglich zu sein scheint, sie leben auch, wenn sie schon gestorben sind.“
Gabriele Vasak