Für die Teilnahme an der Handy-Challenge bekamen Viktoria Rappold und ihr Lebensgefährte Bernhard einen Gutschein für drei Nächte mit Halbpension und einer Well-nessbehandlung pro Person im Hotel Post in Lermoos in Tirol. Tochter Margo und Sohn Maximilian, der den Gutschein für das Foto halten durfte, freuen sich indes übermehr ungestörte Zeit mit der Mama.
VOLL IM LEBEN - HANDY-CHALLENGE
Fotos: Markus Feigl
Unerreichbar
Eine Woche ohne Handy. Für viele unvorstellbar. GESUND&LEBEN wollte es genau wissenund suchte jemanden, der sieben Tage lang auf sein Smartphone verzichten wollte. ViktoriaRappold aus Großweikersdorf nahm die Herausforderung an – hier ihre Erfahrungen.
Das Smartphone gehört zu meinem Leben wie meine Brille,die ich den ganzen Tag mit mir trage. Ich verwende es alsKommunikationsmittel, zum Internetsurfen, Nachrichtenle-sen, Fotografieren, als Kalender und zum Spielen. Sogarmeinen Wecker und meine Uhr hat es ersetzt. Als ich denArtikel über Computer- und Handysucht in GESUND&LE-BEN (Ausgabe 10/2016) las, musste ich mir selbst eingeste-hen, dass mir ein Leben ohne Handy ziemlich schwerfallenwürde. Allerdings habe ich schon vor der Lektüre des Arti-kels bemerkt, dass vor allem Soziale Medien ein echter Zeit-fresser sind, weshalb ich nach sieben Jahren Mitgliedschaftmein Facebook-Profil deaktiviert habe. Ein befreiendes Ge-fühl. Dadurch motiviert, folgte ich dem Aufruf sofort und botan, mein geliebtes Smartphone für eine Woche wegzuge-ben. Wie würde ich mich dabei fühlen? Was würde sich ver-ändern? Konnte ich das überhaupt?
Alleine die Vorbereitung auf diese handyfreie Woche istschon aufwändig. Ich muss der Familie, allen Freunden undArbeitskollegen mitteilen, dass sie mich nicht erreichen wer-den. Auch die Mailboxansage muss geändert werden. Undvollkommen offline zu sein, also überhaupt kein Internet zubenutzen, ist gar nicht möglich. Da ich mit Studienkollegenan einem Projekt arbeite und auch meine Tätigkeit beim Ro-ten Kreuz weiterführe, beschließe ich, während der Wocheeinmal täglich meinen Computer kurz zu benutzen, um E-Mails zu beantworten. Dann geht es los.
Montag
Nachdem der GESUND&LEBEN-Redakteur mein Smartphone mitgenommenhat, vermisse ich es sofort. Regelrecht unvollständig komme ich mir vor. Ichhabe an diesem Tag mindestens 20 Mal das Bedürfnis, mein Handy zu benut-zen. Um ein Kochrezept nachzuschlagen, etwas über eine Kinderkrankheit nach-zulesen oder eine Runde zu spielen. Außerdem machen sich Entzugserschei-nungen bemerkbar. Ich fühle eine Art Leere in mir, am Abend bereits eine innereUnruhe. Ich reagiere schnippisch, bin nervös und gereizt. Werbeprospekte sindplötzlich interessanter als zuvor und auch das Festnetz-Telefon, das ich sonstnie benutze, erfüllt zwei Mal seine Daseinsberechtigung. Ein besonders beklem-mendes Gefühl war, alleine einkaufen zu fahren. Was, wenn ich einen Unfalloder eine Panne hätte? Dann würde ich ohne Handy in der Pampa stehen. Doches ist nicht alles schlecht. Ich verbringe definitiv mehr aktive Zeit mit meiner Fa-milie als sonst und erledige Aufgaben effizienter, da Unterbrechungen durch dasHandy völlig wegfallen.
Dienstag
Das Gefühl der Unvollständigkeit wird stärker. Nach dem Aufwachen will ich Nachrichten lesen, doch das Handyliegt nicht auf dem Nachtkästchen. Will spielen, doch es geht nicht. Will nach einem Rezept suchen, bin dann abergezwungen, zu improvisieren. Und trotzdem schmeckt es. Auch Online-Banking ist nicht möglich und im Wartezim-mer meines Arztes kann ich nicht spielen, um mir die Zeit zu vertreiben. Also lese ich eines der Magazine dort undfinde ein Gewinnspiel darin. Ich will mitmachen, greife nach meinem Handy, um mir die Telefonnummer einzuspei-chern und … finde es nicht. Immer mehr habe ich das Gefühl, etwas zu verpassen. Teilweise zurecht. Denn eine Fir-ma, die mir ein Päckchen hätte liefern sollen, hat mich an diesem Tag bereits zwei Mal erfolglos angerufen, wie ichspäter erfahre.
Sehr erschreckend finde ich, dass ich neidisch auf meinen Lebensgefährten Bernhard bin, der sein Handy zur freienVerfügung hat. In siebeneinhalb Jahren Beziehung ist es das erste Mal, dass ich Neid ihm gegenüber verspüre. Ichschäme mich dafür. Außerdem bin ich schockiert, wie oft mein Sohn Maximilian nach meinem Handy fragt. Immerwieder will er, dass ich Fotos von ihm mache oder ihm ein Video zeige. Das Smartphone war für ihn offenbar dieganze Zeit so präsent wie für mich. Ohne Handy kann ich die Zeit mit meinen Kindern allerdings befreiter erleben,denn so werfe ich nicht immer wieder einen kurzen Blick darauf, um auch ja nichts zu verpassen. Dennoch muss ichzugeben, dass ich meinen Vorsatz gebrochen und den Computer heute drei Mal benutzt habe.
Mittwoch
Ich habe meinen Tiefpunkt erreicht: Der Alltag ohne Mobiltelefon istfür mich um einiges schwerer als gestern. Mein Lebensgefährtemerkt mir das an und nimmt Rücksicht auf mich, indem er seinenHandykonsum in meiner Gegenwart deutlich einschränkt und michumarmt, wenn ich Dampf ablassen muss. Als ich meine Kollegenvom Roten Kreuz treffe, fragen mich alle, wie es mir ohne Handygeht. „Schlecht“, sage ich immer. Ich kann heute meine Schwesternicht erreichen, weil ich ihre Nummer nur in meinem Handy einge-speichert habe, und kann auch keinen neuen Termin mit meinen Kol-legen vereinbaren, da sich mein Kalender auf dem Smartphone be-findet. Ständig muss ich Leuten erklären, warum ich kein Handyhabe.
Wenn ich an Montag denke, den Tag, an dem mir der GESUND&LE-BEN-Redakteur endlich wieder mein geliebtes iPhone aushändigenwird, empfinde ich nicht nur Freude, sondern auch Angst. Wie vieleAnrufe in Abwesenheit werden mir angezeigt? Wie viele ungeleseneNachrichten werde ich haben? Und wie lange wird es dauern, sie allezu beantworten? Immer noch fühlt es sich an, als würde ich wichtigeGeschehnisse in meinem Freundeskreis oder auf der Welt verpas-sen.
Donnerstag
Ich fühle mich kränklich und verbringe den Tag im Bett, weshalb ich Zeit zum Nachdenken habe. Mir wird klar, dassich eine Sucht nach meinem Handy entwickelt habe und mein Leben ändern muss. Und auch meine Kinder solltengeschützt werden. Bernhard und ich beschließen, dass sie erst spät ein eigenes Smartphone oder Tablet bekom-men sollen und die Nutzung zeitlich eingeschränkt werden muss.
Langsam finde ich mich mit meiner handyfreien Situation ab. Ich vermisse es zwar immer noch und will öfter danachgreifen, aber seltener aus Gewohnheit als aus praktischen Gründen – weil ich ein Rezept suchen oder etwas in mei-nem Kalender nachschauen will. Auch das Gefühl, etwas zu verpassen, nimmt ab. Andere Menschen dabei zu be-obachten, wie sie ihr Smartphone nutzen, ist für mich besonders interessant. Ich beäuge sie immer kritischer.
Freitag
Ich zähle die Tage. Mehr als die Hälfte der Zeit meines Experiments ist bereits um. Glücklicherweise bin ich mit demWeihnachtsputz und den Einkäufen für das morgige Weihnachtsmenü beschäftigt und abgelenkt. Immer noch habeich das Gefühl, mich mit der Situation abgefunden zu haben. Nur in der Küche vermisse ich mein iPhone. Allerdingshat das den positiven Nebeneffekt, dass meine Kochbücher von Deko-Objekten wieder zu Gebrauchsgegenständenmutieren.
Entzugserscheinungen spüre ich nun nicht mehr. Im Gegenteil: Ich bin gut gelaunt und fühle eine Zufriedenheit wieseit langem nicht mehr. Ich verbringe die Zeit mit meinen Liebsten nun viel intensiver und vermisse das Handy kaumnoch. Nur die Fotofunktion geht mir ab, da ich schöne Momente mit den Kindern gerne festgehalten hätte. Dafürkann ich sie nun unbeschwerter genießen. Mittlerweile habe ich auch keine Angst mehr vor Montag und kann mirsogar vorstellen, einen achten Tag auf das Handy zu verzichten.
Samstag
Weihnachten. Da die ganze Familie zu Besuch ist, habe ich keine Zeit, an mein Handy zu denken. Nur einmal, alses um das Fotografieren bei der Bescherung geht, vermisse ich es wieder. Der Tag läuft ohne Störungen viel be-sinnlicher ab als sonst. An Tagen wie Weihnachten ist es wirklich von Vorteil, nicht für jeden erreichbar zu sein. Des-halb ist der Samstag für mich der einfachste Tag des ganzen Experiments.
Sonntag
Die Zeit mit meiner Familie kann ich frei vom Handy viel bewusster, aktiver und unbeschwerter gestalten als sonst.Auch in anderen Bereichen bin ich viel produktiver. Zum Beispiel, wenn es um mein Studium geht. Ich nehme dasExperiment nun sehr positiv wahr, habe keine Entzugserscheinungen mehr und kaum mehr das Gefühl, etwas zuversäumen. Selbst den Computer schalte ich, wie vorgenommen, nur einmal am Abend ein.
Der Kontakt zu Freunden und Familienmitgliedern ist ohne Handy definitiv schwieriger. Das Festnetz wird für michnicht zum Handyersatz, was mir zeigt, dass meine Kommunikation mit anderen öfter schriftlich als mündlich stattge-funden hat. Das war mir vorher nicht bewusst. Wenn ich am Montag mein Handy zurückbekomme, werde ich zuerstdie Mailbox abhören und neu besprechen sowie die Whatsapp-Nachrichten lesen. Allerdings nehme ich mir vor, dasnicht gleich zu tun. Möglicherweise auch erst nach einem oder zwei Tagen. Einen Arbeitsalltag ohne Mobiltelefonstelle ich mir zwar immer noch schwierig vor, komme aber immer mehr zur Erkenntnis, dass es mit der richtigen Vor-bereitung durchaus machbar wäre.
Nach dem Experiment
Mein Fazit nach diesen sieben Tagen lautet: Eine Woche ohneHandy ist machbar, aber nicht einfach. Seit sieben Tagen habeich es nun wieder und kann voller Stolz behaupten, dass sich ei-niges geändert hat. Das Handy hat für mich nun nicht mehr soeinen hohen Stellenwert wie früher. Oft lasse ich es ganz be-wusst stundenlang irgendwo liegen, ohne auch nur einmal aufdas Display zu schauen. Ich achte außerdem sehr darauf, dasHandy nicht im Kinderzimmer zu benutzen und nehme es des-wegen auch gar nicht mit hinein. Sämtliche Spiele habe ich ge-löscht. Manchmal möchte ich spontan eine Runde spielen, dieserImpuls wird aber von Tag zu Tag schwächer und dadurch habeich mehr Zeit für andere Dinge.
Mein Smartphone nutze ich nun viel bewusster und bin ge-spannt, ob das auch in Zukunft so bleiben wird. Die Handy-Chal-lenge war auf jeden Fall eine schwierige, aber überaus wertvolleErfahrung für mich. Wahrscheinlich hätte ich ohne dieses span-nende Experiment meinen Handykonsum länger nicht kritischhinterfragt und würde weiterhin viel zu viel Zeit mit dem iPhoneverbringen, anstatt mich um wichtigere Dinge zu kümmern. DieLeserinnen und Leser von GESUND&LEBEN möchte ich ermuti-gen, einen handyfreien Tag (oder für die Mutigen: sogar ein gan-zes Wochenende) auszuprobieren. Sie werden erstaunt sein, wiesich ein Tag ohne Handy anfühlt. Ich bin überzeugt davon, dassauch sie den Luxus, nicht jederzeit erreichbar zu sein, schätzenlernen.
Arrangiert von Markus Feigl
Vor allem in der Küche nutzt Viktoria Rappold das Smart-phone, um neue Rezepte zu finden oder sich die Zeit mitSpielen oder Lesen von Zeitungsartikeln zu vertreiben.
„Mir wird klar, dassich eine Sucht nachmeinem Handy ent-wickelt habe.“
Foto: Istockphoto/ bernarda Sv
Wir gratulieren!
Die ersten 20 Einsenderinnen und Ein-sender zur Handy-Challenge (sieheGESUND&LEBEN 10/16, Seite 28) be-kommen ein Gesundheitspaket der In-itiative »Tut gut!« bestehend aus:
Rucksack gefüllt mit
Wanderwegsbroschüre, Regenpon-cho, Kappe, Schlauchtuch, Igelball,Springschnur, gefüllter Trinkbecher,Kräuterbad, Tee, Standkalender:
Andreas Altmann
Familie Bointner
Brigitte Brunthaler
Karl Gerlich
Waltraud Haselsteiner
Barbara Keiblinger
Horst Klaus
Helmut Kraus
Jacqueline Lechner
Christian Paar
Bettina Pachovsky
Gabi Püchl-Ratsch
Susanne Reijnders
Elisabeth Richter
Christine Schenner
Tamara Schödln
Eva Stibl
Corina Strohmer
Marianne Tod
Familie Tremetzberger.
Zur Person
Viktoria Rappold, BA (32), studiert Pflegewissenschaftund arbeitete vor ihrer Karenzzeit als Pflegeberaterin.Nun sorgt sie für die beiden Kinder Maximilian (zwei Jah-re) und Margo (acht Monate). Lebensgefährte Bernhardunterstützt sie bei der Kindererziehung, sodass sie sichihrer ehrenamtlichen Mitarbeit als Notfallsanitäterin beimRoten Kreuz widmen kann.
erschienen in GESUND & LEBEN IN NIEDERÖSTERREICH 01+02/2017