Eine Krankheit, viele Gesichter

Petra L. musste nach einem Herzstillstand reanimiert werden. Isabella F. litt unter Zwerchfellkrämpfen und konnte kaum noch essen. Zwei unterschiedliche Geschichten, die aber eines gemeinsam haben –die Grunderkrankung Sarkoidose.

Der Beginn ist oft schleichend und unscheinbar, manchmal wird sie nur durch Zufall entdeckt – die Rede ist von Sarkoidose, auch Morbus Boeck genannt. Die seltene systematische Erkrankung kommt europaweit zwischen ein- und 64-mal pro 100.000 Personen vor. Oft tritt sie zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr auf, wird aber in den letzten Jahren zunehmend auch erst im späteren Lebensalter festgestellt. „Die Krankheit zeichnet sich dadurch aus, dass sich im Gewebe knotenartige, gutartige Strukturen, sogenannte Granulome, bilden, die in jedem Organ, am häufigsten in der Lunge, vorkommen können. Doch auch Haut, Leber, Nervensystem, Augen oder sogar Herz können betroffen sein“, erklärt ao. Univ.-Prof. Dr. Judith Löffler-Ragg, Oberärztin der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck. Der Weg zur Diagnose ist oft lang, weiß die Ärztin, denn: „Sarkoidose verhält sich wie ein Chamäleon: Hinter den unspezifischen Symptomen kann eine ganze Reihe von verschiedenen Erkrankungen stecken – von Infektionen oder Autoimmunerkrankungen bis hin zum Tumor –, deshalb sind meist mehrere Ausschlussuntersuchungen nötig, bis die Diagnose feststeht.“ In manchen Fällen, so Löffler-Ragg, liefern insektenstichartige Flecken auf den Unterschenkeln oder stark geschwollene Sprunggelenke erste Anhaltspunkte. Bei allgemeinen unspezifischen Krankheitssymptomen sind eine Blutuntersuchung und auch fachärztliche Untersuchungen wie EKG, Ultraschall, Röntgen oder MRT sinnvoll. Letztendlich sichert eine Biopsie die Diagnose – Gewebeproben werden meist durch eine Lungenspiegelung entnommen.

Univ.-Prof. Dr. Judith Löffler-Ragg, Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck

 

„In zwei Drittel der Fälle heilt die akute Sarkoidose innerhalb von zwei Jahren von allein aus.“

Akut oder chronisch?

Die Ursache der Sarkoidose ist bislang nicht geklärt. Immer wieder werden infektiöse Erreger oder Allergene als Ursache diskutiert. Auch schädigende eingeatmete Stoffe sowie genetische Veranlagung könnten Auslöser sein. „Die gute Nachricht: In zwei Drittel der Fälle heilt die akute Sarkoidose innerhalb von zwei Jahren von allein aus. Therapieren muss man nur dann, wenn Belastungsstörungen vorliegen oder ein Funktionsverlust eintritt, um Organschäden zu vermeiden oder um die Lebensqualität zu verbessern. In diesen Fällen kommen Kortison, Immunsuppressiva oder Biologika zum Einsatz“, erklärt Judith Löffler-Ragg. Bei einem Drittel der Betroffenen wird die Krankheit jedoch chronisch und kann in Schüben auftreten.

So war es auch bei Isabella F. Im Jahr 2006 wird bei der damals 29-Jährigen Sarkoidose diagnostiziert. „Ich habe bereits seit meinem zweiten Lebensjahr Diabetes Typ 1, hatte also schon seit frühester Kindheit mit einer Autoimmunerkrankung zu kämpfen, die viele Herausforderungen und Spätschäden mit sich bringt. Als ich plötzlich unter trockenem Husten litt, habe ich mir nicht viel dabei gedacht, denn ich war immer schon anfällig für Infekte. Doch es wurde immer schlimmer und führte schließlich zu Zwerchfellkrämpfen, die es fast unmöglich machten, zu essen.“ Also sucht Isabella F. einen Lungenfacharzt auf, der ihre Blutwerte kontrolliert und dabei feststellt, dass der ACE-Wert erhöht ist. Dieser deutet häufig auf eine granulomatöse Erkrankung der Lunge hin. Ein Lungenröntgen und ein Ultraschall der wichtigsten Organe folgen. „Als die Ärzte das erste Mal von ‚Sarkoidose‘ gesprochen haben, habe ich bitterlich geweint“, erinnert sich die heute 44-Jährige. Dennoch kann sie die Krankheit mit Inhalator und leichten Kortisonsprays in den folgenden vier Jahren gut in Schach halten. „Doch plötzlich ist es mir immer schlechter gegangen – ein neuer Schub. Ich habe zehn Kilo abgenommen, bekam kaum noch Luft, meine Lymphknoten waren auf fast acht Zentimeter vergrößert.“ Schließlich bekommt die Frau hochdosiertes Kortison – was aufgrund ihres Diabetes problematisch ist, da Kortison den Blutzucker in die Höhe treibt. Mit der Umstellung auf ein zusätzliches Immunsuppressivum gelingt es langsam, das Kortison zu reduzieren. „Dank der Medikamente habe ich meine Krankheit heute gut im Griff, doch die Nebenwirkungen sind nicht zu unterschätzen – Zahnfleischschwund und Gewichtszunahme sind nur wenige Beispiele der unerwünschten Nebeneffekte“, sagt Isabella F. Umso wichtiger sei die Forschung auf dem Gebiet der Sarkoidose, um den Mechanismus der Erkrankung besser zu verstehen und gezieltere Medikamente anzubieten, betont Oberärztin Löffler-Ragg.

Sarkoidose am Herzen

Eine der größten Herausforderungen in der Diagnose und Behandlung von Sarkoidose ist ein Granulumbefall des Herzens, sagt die Ärztin. „Die möglichen Auswirkungen der Herzsarkoidose sind nicht zu unterschätzen, denn unbehandelt kann sie zum plötzlichen Herztod und chronischem Herzversagen führen.“ Eine Rettung in letzter Minute erlebte Petra L., deren Erkrankung erst spät diagnostiziert wurde: „Ich stand schon immer unter Strom und hatte sehr viel um die Ohren. Dass etwas mit mir nicht stimmt, merkte ich, als ich meinem jüngsten Sohn keine Gute-Nacht-Geschichte mehr vorlesen konnte, weil ich immer vor ihm einschlief. Täglich überfiel mich eine bleierne Müdigkeit.“ Besorgt über die untypischen Beschwerden konsultiert Petra L. ihren Hausarzt. Dieser schiebt die Symptome auf Stress und verordnet ihr Ruhe. „Doch das hat nichts genutzt. Ich merkte, dass ich schon bei kleinen Tätigkeiten schnell aus der Puste war, oft hustete und einen sehr hohen Puls, gleichzeitig aber einen niedrigen Blutdruck hatte“, erzählt die Oberösterreicherin. Ein Besuch beim Internisten folgt, doch auch dieser kann nichts Außergewöhnliches feststellen. Als Petra L. einige Wochen darauf mit ihrem Sohn Skifahren geht, schwillt ihr Fuß an. „Es hat ausgesehen, als hätte mich etwas gestochen.“ Wenige Tage später geschieht das wohl einschneidendste Ereignis in ihrem Leben: Petra L. steht gerade in der Küche, als ihr Herz plötzlich aussetzt. Ihre Familie eilt herbei und reanimiert die Frau, bis die Rettung kommt. Im Krankenhaus wird ein Defibrillator implantiert, der sie fortan Tag und Nacht überwacht und einen Elektroschock aussendet, sollte er eine lebensbedrohliche Rhythmusstörung erkennen. Anschließend wird Petra L. für zwei Tage in den künstlichen Tiefschlaf versetzt. Als sie wieder erwacht, teilt ihr die Ärztin die Verdachtsdiagnose mit: Sarkoidose. Bei einer Biopsie wird die Diagnose schließlich bestätigt. Heute ist die Frau auf Immunsuppressiva angewiesen, wird engmaschig in der Rheuma-Ambulanz betreut und hat regelmäßige Herzuntersuchungen. „Der Defibrillator ist meine Lebensversicherung, doch er schränkt mich stark ein. Viele meiner Hobbys sind nicht mehr möglich und ich spüre jeden meiner Herzaussetzer. Die Sarkoidose ist eine gemeine Krankheit, denn man sieht sie uns Betroffenen nicht an“, betont Petra L..

Interdisziplinäre Betreuung

Um chronisch Sarkoidose-Erkrankte wie Isabella F. und Petra L. bestmöglich zu unterstützen, wird eine multidisziplinäre Betreuung empfohlen. Je nach betroffenen Organen beraten dabei Ärztinnen und Ärzte der Pneumologie, Rheumatologie, Dermatologie, Radiologie, Neurologie und Kardiologie über die optimale Behandlung. Auch die Selbsthilfe ist eine wichtige Stütze zum regelmäßigen Austausch der Betroffenen. „Ich wünsche mir einfach, dass mehr über die Krankheit informiert wird, sodass sie schneller diagnostiziert und behandelt werden kann“, meint Petra L. Und Isabella F. ergänzt: „Heute weiß ich – Sarkoidose ist kein Todesurteil, sondern gut behandelbar. Man lernt trotz Einschränkungen damit zu leben. Ich kann nur jeder und jedem raten, gut auf den eigenen Körper zu hören. Beschwerden sollte man besser früher als später ärztlich abklären lassen.“


Text: Michaela Neubauer | Foto: Unsplash.com, MED.UNI INNSBRUCK

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