MOZART ALS MEDIZIN

Mozarts Klaviersonate KV 448 hat laut Studien Einfluss auf das Gehirn – und verringert die Anfallsfrequenz bei Menschen mit Epilepsie. Warum es zum Mozart-Effekt kommt, erforscht ein Neurologie-Team der Salzburger Universitätsklinik.

Wolfgang Amadeus Mozart ist der Studien-Superstar. Seine Werke reduzieren die Häufigkeit von Epilepsieanfällen, senken sowohl den Blutdruck als auch die Herzfrequenz.

 

Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Johann Strauss: Auch deren Musik kann sowohl Blutdruck, als auch Herzfrequenz senken. Bei Epilepsiepatienten zeigte sich freilich kein Effekt.

Das erste Date. Der erste Kuss. Ein unvergesslicher Urlaub. Vieles in unserem Leben ist mit Musik verbunden. Das Hören des liebsten Songs oder der Lieblingsband ist eine Zeitreise zu guten Erlebnissen und Erinnerungen. Die Stimmung steigt, der Mund summt mit, der Fuß wippt im Takt, ganz automatisch. Auch bei der Autorin dieser Zeilen – Musik ist die beste Therapie gegen schlechte Stimmung, ganz besonders jetzt. Sie kurbelt die Ausschüttung der Glücksbotenstoffe Serotonin, Dopamin und Oxytocin an und bremst das Stresshormon Cortisol. Auch für die deutsche Musikforscherin Vera Brandes ist Musik Medizin: „Sie ist wirksam und hat keine negativen Nebenwirkungen.“ Bereits in der Antike setzten Olympioniken Musik zur Leistungssteigerung ein. 

Primar Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Vorstand der Salzburger Universitätsklinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation, spricht vom I-love-you-System: „Musik hat einen nachgewiesenen Effekt auf die Herzfrequenz und den Sympathikus, einen Teil des vegetativen Nervensystems.“ So spiele ein Wiener Anästhesist auf der Intensivstation Musik mit aktivierenden und beruhigenden Passagen. „Er fand heraus, dass Beethoven schmerzstillend wirkt.“ Eine Studie gibt es dazu allerdings noch nicht. 

 

Primar Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Vorstand der Salzburger Universitätsklinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation

 

„Geschlechter reagieren unterschiedlich auf Musik. Das hat mit dem Charakter der Musik, ihrem Tempo und Energiegehalt zu tun. “


Auch Suzanne Hanser, Präsidentin der International Association for Music & Medicine und Professorin für Musiktherapie am Bostoner Berklee College of Music, hält musikalische Interventionen in der Medizin für sinnvoll: „In der Krebsbehandlung gibt es starke Belege, dass Musiktherapie bei Schmerzen, Angst, Depression und psychosozialen Auswirkungen helfen kann“, erklärt die Klavierspielerin. „Die Forschung ist eindeutig.“ 

Mit Beethoven auf der Intensivstation, mit Mozart im Scanner

Mitte der 90er-Jahre stießen Neurologinnen und Neurologen erstmals auf den Mozart-Effekt. Sie fanden heraus, dass Menschen, die Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate in D-Dur für zwei Klaviere KV 448 gehört hatten, bestimmte Aufgaben besser lösen konnten. Auch Tierstudien zeigten, dass Ratten damit schneller durch Labyrinthe fanden.
Mozart als Medizin – ein Dauerbrenner in der Wissenschaft. Im Laufe der Jahre untersuchten Forschende auf der ganzen Welt immer wieder: Welchen Effekt hat die Sonate KV 448 auf das menschliche Gehirn? Und funktioniert das auch mit anderer Musik? In einer Studie trat Mozarts Superhit gegen Ludwig van Beethovens „Für Elise“ an. Dabei wurden Menschen in den Scanner geschoben – die Röhre der Kernspin- oder Magnetresonanz-Tomografie – um die Durchblutung des Gehirns zu messen. Trinka: „Das Team sah, dass nur bei Mozart Aktivierungen von Gehirnregionen stattfinden – in jenen, die wesentlich für die Orientierung im Raum sind.“ Die große Überraschung: „Dieser Effekt zeigte sich auch bei Menschen mit Epilepsie. Ihre Anfallsfrequenz verringerte sich deutlich.“ Später wurde das Studiendesign musikalisch breiter angelegt: mit Stücken von Mozart, Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bach, Frédéric Chopin und Joseph Haydn – bei Menschen im Koma und mit Epilepsie. Die Forschenden wollten wissen: Welche Musik entspannt? Welches Stück wirkt beruhigend auf den Herzschlag? Trinka: „Eine Wirkung war nur bei Mozart und Haydn nachweisbar – ihre Musik ist sehr ähnlich. Und es zeigte sich erneut, dass bei dieser Musik die epileptischen Spikes abnahmen.“

Brenn goes CNN

Eine aktuelle Studie zum Mozart-Effekt schaffte es aus dem tschechischen Brünn in die Hauptnachrichten von CNN. Eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern des Krankenhauses St. Anne und der CEITEC-Masaryk-Universität rund um den Neurologie-Professor Ivan Rektor beschallte 2020/2021 Menschen mit Epilepsie mit Mozarts Sonate KV 448 und Haydns Symphonie „mit dem Paukenschlag“. „Niemand war Klassik-Fan, alle hörten lieber Rock, Pop oder Elektronik“, so Trinka. Das Ergebnis differenzierte nicht nur zwischen Mozart und Haydn, sondern auch zwischen Frauen und Männern. „Bei Männern verringerten sich die epileptischen Spitzen bei Mozart. Haydn wirkte nur bei Frauen, Mozart wirkte auch bei Frauen. Geschlechter reagieren also unterschiedlich auf Musik. Das hat mit dem Charakter der Musik, ihrem Tempo und Energiegehalt zu tun.“ Barbara Jobst – eine gebürtige Deutsche, die in den USA an der Dartmouth Geisel School of Medicine als Neurologie-Professorin tätig ist – ging bei ihrer aktuellen Untersuchung des Mozart-Effekts noch einen Schritt weiter und verglich seine Sonate KV 448 im Original sowie leicht verändert mit Stücken von Richard Wagner und White Noise. „Der Mozart-Effekt stellte sich nur beim Original ein“, so Trinka. „Und für den Nachweis des Effekts brauchte es mindestens 30 Sekunden Mozart.“ Trotz der Erkenntnisse sei der Therapieeffekt jedoch weiter offen. „Täglich Mozart hören schadet aber nicht.“

Karajan im Hörsaal

Trinka plant gemeinsam mit einer in Island tätigen Doktorandin eine neue Studie zum Mozart-Effekt an der Salzburger Christian-Doppler-Universitätsklinik. Herbert von Karajan gestaltete hier einst den Hörsaal mit – für EEG (Elektroenzephalogramm)-Untersuchungen beim Hören von Musik. Trinka: „Unsere Universität forscht seit den 50er-Jahren in dieser Tradition. Wir haben als Einzige in Österreich ein MEG (Magnetoenzephalografie)-Gerät, das Gehirnaktivität nichtinvasiv misst. Mittels eines Computerprogrammes, das in Linz entwickelt wurde, wollen wir Jazz, Minimal Music analysieren und deren Wirkung auf das Gehirn im Vergleich zu Mozart untersuchen. Wir werden dabei erstmals das gesamte Stück untersuchen – bei Gesunden und Menschen mit Epilepsie. Und können mit dieser Technologie die Wirkung exakt nachverfolgen: aufgelöst in Millisekunden-Zeitabschnitte.“ Man wolle in die Tiefe gehen und untersuchen, was den Mozart-Effekt erzeugt. Bis heute ist unklar, was genau die epileptische Aktivität im Gehirn verringert. Es könnte die Sonate im Gesamten oder ein einzelnes Motiv daraus sein. Es könnte auch an der Emotionalität oder Wiederholung bestimmter Sequenzen liegen. Derzeit wird an der Finanzierung und an Kooperationen mit Salzburger Forschungsinstituten gearbeitet: dem Karajan-Institut, Mozarteum und der Paris-Lodron-Universität.

Der Kongress tanzt - bei Neurologie-Jazz

Der deutsche Universitätsprofessor Dr. Hans-Joachim Trappe, Inhaber eines Lehrstuhls für innere Medizin und Kardiologie sowie Direktor der Medizinischen Klinik II im Marienhospital Herne an der Ruhr-Universität Bochum, glaubt weniger an einen speziellen Mozart- als an einen Musik-Effekt. Nebenbei ist er auch Organist bei Gottesdiensten und gibt Orgelkonzerte. Um herauszufinden, welchen Einfluss Musik auf das Herz-Kreislauf-System hat, bespielte Trappe Probanden mit Mozart, Strauss, Bach, Heavy Metal und Abba. Mit erstaunlichem Ergebnis: Die Klassiker senkten den Blutdruck und die Herzfrequenz deutlich. Sogar Heavy Metal zeigte eine positive Wirkung. Kaum zu bemerken war hingegen der Abba-Effekt. Den Grund vermutet der Kardiologe im Text: Man dürfe nicht übersehen, dass auch dieser imHirn verarbeitet werden müsse.
Der Konnex zwischen Musik und Medizin ist kein Zufall: Schon der österreichische Internist und ausgebildete Konzertpianist Albert Neumayr erkannte: „Noten sind das Abbild des Kosmos. Und der Mensch ist ein Teil davon.“ Auch Trinka weiß um diese Verbindung: „Viele Mediziner und Medizinerinnen sind hochbegabte Musiker. Nicht umsonst spielen auf Kongressen Bands von Neurologen und Neurologinnen.“ Seine Forderung: „Jeder Mediziner sollte eine Ausbildung in Musik haben.“


Text: Karin Lehner | Foto: iStock_WYNNTER_ FIERCEABIN_ GRAFISSIMO_ CLU ; SALK

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