Mit den Ohren sehen

Roland Spöttling ist ein Tausendsassa: Der gebürtige Salzburger ist Musiker, Stadion­sprecher des Wiener Sportklubs und selbsternannter Lebenskünstler. Und das alles ohne Augenlicht.

Roland Spöttling genießt sein Leben in vollen Zügen.

Er hört, wenn ein Spieler gegen den Ball tritt. Oder wenn ein Corner von links gespielt wird. Und überhaupt bekommt er mit, wo sich der Ball gerade befindet. Fußball ist neben der Musik die größte Leidenschaft von Roland Spöttling. Seit 24 Jahren ist der 49-Jährige Stadion­sprecher des Wiener Sportklubs. Und das, obwohl er seit seinem vierten Lebensjahr blind ist.


Kreativ durchs Leben

Das Bild eines roten Autos und eines Feuers hat Roland Spöttling noch im Gedächtnis. Die ersten vier Jahre seines Lebens sieht der gebürtige Salzburger normal. Danach beginnt er zu schielen und zunehmend schlechter zu sehen. Alle Augenkliniken von München bis Wien habe er von innen gesehen, erinnert sich der Mann. Er wird operiert und bekommt täglich einen Liter Karottensaft zu trinken. Doch irgendwann geben die Menschen um ihn auf. Roland Spöttling verliert seine Sehkraft.

Der Grund dafür liegt am Beginn seines Lebens: Als Frühchen kommt er in den Brutkasten und wird mit zu viel Sauerstoff versorgt. Die ersten Tage ohne Augenlicht läuft er in der Wohnung häufig gegen Möbelstücke. Dass das alles sehr zeitig in seinem Leben passiert ist, sieht Roland Spöttling heute als Glück: „Es war für mich als Kind sicher leichter als für die Erwachsenen um mich. Ich war nie allein, meine Oma hat sich rund um die Uhr mit mir beschäftigt. Ich bewundere sie dafür bis heute. Mir hat es an nichts gefehlt.“ Der Mann besucht den Kindergarten in Salzburg und kommt dann für die Volks- und Hauptschule sowie für die Polytechnische Schule in das Blindeninstitut in Wien. Danach besucht er das BORG 3 in Wien, wo er seine Matura macht. Die Schulzeit dort sei ein „Spießrutenlauf“ gewesen, erinnert sich Roland Spöttling. Teils auf dem Computer, teils auf der Schreibmaschine schreibt er Tests mit. In Mathematik diktiert er der Lehrerin seine Antworten. Nach dem Gymnasium möchte er am liebsten Musik oder Geschichte studieren, dafür wird er aber nicht zugelassen. Der Mann beginnt daraufhin ein Theologie-Studium, das er nicht beenden kann.

Seit seiner Kindergartenzeit begleitet Roland Spöttling die Musik: Er beginnt damals mit der Blockflöte. Und damit „geht der Zirkus los“: Klavier, Orgel und Ziehharmonika lernt er. Sein Highlight ist ein Auftritt mit dem bekannten Musiker Stevie Wonder in der Stadthalle im Jahr 1989: Der ebenfalls blinde Musiker besucht damals das Blindeninstitut und fragt, ob Roland mit ihm gemeinsam auf der Bühne stehen möchte. „I just called to say I love you“ spielt der damals 16-Jährige auf dem Keyboard des Musikers. Er habe gedacht, dass sich so fliegen anfühlen muss, erinnert sich Roland Spöttling.


Mit den Ohren sehen

Heute lebt Roland Spöttling in Wien. Seinen Alltag meistert er die meiste Zeit allein. Alle zwei Wochen unterstützt ihn eine Reinigungskraft in der Wohnung und auch seine Cousine hilft ihm bei der Wäsche oder wenn es darum geht, größere Einkäufe zu liefern. Das erste Mal draußen allein unterwegs zu sein war eine Herausforderung: „Wenn man das erste Mal mit dem Stock draußen ist, da schlackert man mit den Ohren.“ Im Laufe der Zeit hat Roland Spöttling gelernt, mit den Ohren zu sehen und unter anderem Entfernungen abschätzen zu können. Dass er ein besseres Gehör als andere hat, glaubt er nicht: „Wenn ein Sinn komplett ausfällt, müssen das die anderen Sinne kompensieren. Ich denke, dass mein Gehör einfach anders trainiert ist. Man steht damit auf und geht damit schlafen.“ Ebenfalls den ganzen Tag begleitet ihn Fußball – egal, ob im Fernsehen oder als Stadionsprecher. Mit den Worten „Liebe Fußballfreunde, herzlich willkommen zum Meisterschaftsspiel der Regionalliga Ost“ begrüßt Roland Spöttling seit März 1998 die Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch wenn ihm seine Ohren viel verraten, was am Spielfeld passiert, so sagt er vor allem Spielerwechsel an.

Roland Spöttling ist am liebsten unterwegs: entweder am Fußballfeld als Stadionsprecher oder als Musiker bei verschiedenen Veranstaltungen.

„Muss nicht blind sein“

Bis vor Kurzem spielt Roland Spöttling in den Sommermonaten in der Original Wiener Stegreifbühne am Klavier. 32 Jahre lang steht er so für insgesamt 1.667 Vorstellungen auf der Bühne. Darüber hinaus hatte er bereits Auf­tritte als Begleitpianist und als Barpianist im „Weißen Rössl“ in St. Wolfgang. Fußball und Musik verknüpft der selbsternannte Lebenskünstler, als er das Rapid-Weihnachtslied „Grün-weiße Weihnacht“ und das Europacup-Lied „Jetzt geht’s los“ komponiert. 1996 veröffentlicht Roland Spöttling sein Album „Blind vor Liebe“. Er tritt bei Hochzeiten, Feiern und Messen auf und moderiert Produktpräsentationen. Und: 2001 steht er bei einem offiziellen Spiel des Wiener Fußballverbands als Spieler selbst auf dem Fußballfeld.
Zurzeit ist Roland Spöttling, der 10.000 Schallplatten besitzt, damit beschäftigt, das Religionsarchiv des Blindeninstituts zu digitalisieren. Es sei das Schönste, sagt „Roly“, wenn man seinen Traum leben kann. Er hört immer wieder, dass er ein Vorbild sei. Das versteht er nicht: „Wieso bin ich ein Vorbild? Man muss nicht blind sein, um seine Träume leben zu können. Aber es freut mich dennoch.“ Fragt er sich trotzdem manchmal, warum gerade er seine Sehkraft verloren hat? „Ich habe in meinem Leben bisher so viel Glück gehabt, dass ich nicht das Recht habe, undankbar zu sein. Auch wenn ich manchmal verärgert bin, versuche ich immer, aus dem, was ich habe, das Beste zu machen.“ Dazu passt sein Lebensmotto: Alles nach Möglichkeit ausprobieren, das Leben mit Vollgas genießen und ausreizen, solange es geht. Und alles erreichen, was bisher noch nicht möglich war.


Text: Daniela Rittmannsberger | Fotos: Privat

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