Die Macht der Erwartung
Zahlreiche Studien belegen, dass der Körper auch auf wirkstofffreie Substanzen reagieren kann. Doch wie wirkt der sogenannte Placeboeffekt?
Das ist doch nur ein Placebo!“ Was oft wie eine abwertende Bemerkung klingt, hat in Wahrheit eine erstaunliche Wirkung. Der sogenannte Placeboeffekt, ursprünglich ein Begriff aus Medizin und Psychologie, ist längst in die Alltagssprache eingegangen – und wird dennoch immer wieder missverstanden. Viele denken, ein Placebo wirke gar nicht und sei nur Einbildung. Der Begriff gilt häufig als Synonym für Selbsttäuschung, dabei handelt es sich um ein komplexes Wechselspiel zwischen Geist und Körper. Denn wie kann etwas, das angeblich „gar nicht wirkt“, messbare Veränderungen im Körper hervorrufen? Unter dem Placeboeffekt versteht man körperliche und psychische Veränderungen, die das Wohlbefinden verbessern, ohne dass dafür ein wirksamer Arzneistoff verantwortlich ist. Der Noceboeffekt beschreibt das Gegenstück dazu: Negativ gefärbte Vorinformationen, Unwissenheit, Sorgen oder Angst können negative gesundheitliche Reaktion auslösen – etwa Kopfschmerzen oder Übelkeit –, obwohl ein Präparat keine schädlichen Inhaltsstoffe enthält. Ein häufiger Auslöser solcher Reaktionen ist die Angst vor möglichen Nebenwirkungen eines Medikaments.
Bahnbrechende Entdeckung
Placebos, also wirkstofflose Scheinmedikamente, werden in der Regel in medizinischen Studien eingesetzt, um neue Medikamente, Therapien oder Behandlungsverfahren zu untersuchen. Der Hauptzweck ist dabei, herauszufinden, ob eine beobachtete Wirkung wirklich auf den Wirkstoff oder die Behandlung zurückzuführen ist – und nicht auf Erwartung, Suggestion oder zufällige Verbesserungen. Einen Meilenstein in der wissenschaftlichen Erforschung des Placeboeffekts setzte der amerikanische Anästhesist Henry K. Beecher (1904–1976). Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Beecher als Militärarzt in einem Feldlazarett in Italien. Zur Linderung der Schmerzen wurden die schwer verwundeten Soldaten mit dem Opiat Morphin behandelt. Als in einer kritischen Situation das Medikament ausging, erzählte ihm eine Krankenschwester, dass sie einem schwer verletzten Soldaten eine Kochsalzlösung injiziert hatte. Sie ließ ihn in dem Glauben, er bekäme ein starkes Schmerzmittel. Daraufhin zeigte sich ein erstaunlicher Effekt: Der Patient entspannte sich, wurde ruhiger und die Schmerzen ließen nach. Obwohl ihm kein wirksames Medikament verabreicht worden war, überstand der Soldat sogar eine Operation. Henry Beechers 1955 veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel „The Powerful Placebo“ trug maßgeblich dazu bei, das Konzept des Placeboeffekts in der medizinischen Forschung zu etablieren. Seine Arbeit führte dazu, dass Placebo-Kontrollgruppen heute Standard in klinischen Studien sind, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu prüfen.
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Wie unser Geist Medizin verstärken kann
Dr. Markus Rütgen, Fakultät für Psychologie/Universität Wien und Karolinska Institut in Solna bei Stockholm
Welche Bedingungen begünstigen den Placeboeffekt?
Der Placeboeffekt wirkt besonders stark, wenn Menschen schon positive Erfahrungen mit einer Behandlung gemacht haben – sei es aus eigener Erfahrung oder indem sie sehen, dass Freunde oder Familie davon profitieren. Auch die Art der ärztlichen Betreuung spielt eine große Rolle: Wer sich Zeit nimmt, zuhört, die Behandlung verständlich erklärt und selbst Vertrauen in ihre Wirksamkeit zeigt, kann den Placeboeffekt stärken und so den Behandlungserfolg verbessern. Interessanterweise kann auch der Preis des Medikaments die Wirkung beeinflussen: Teureren Medikamenten wird häufig eine größere Wirksamkeit zugeschrieben.
Welche Rolle spielen Beziehungen?
Ein entscheidender Faktor für den Behandlungserfolg ist, wie Patientinnen und Patienten in die Behandlung eingebunden werden. Wer Vertrauen zu Ärztinnen und Ärzten sowie zum Pflegepersonal hat, sich gut aufgehoben fühlt und umfassend über die Wirkungen eines Medikaments informiert ist, entwickelt oft positive Erwartungen – und diese können die Behandlung tatsächlich wirksamer machen. Wird hingegen das Vertrauen oder die Informationsvermittlung vernachlässigt, können sich negative Erwartungen entwickeln, die den Behandlungserfolg beeinträchtigen – ein Phänomen, das als Noceboeffekt bekannt ist.
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Text: Jacqueline Kacetl⎪Fotos: iStock_lexisphotography, beigestellt