Der Garten als Therapeut

Die Patientinnen und Patienten auf der Psychiatrie in der Klinik Hietzing leiden an Depressionen, bipolaren Störungen und anderen psychischen Erkrankungen. Da soll es helfen, Beete umzugraben und Unkraut zu jäten? Tut es, sogar überraschend gut.

Setzen in der Klinik Hietzing die Natur als Heilmittel ein: (v.l.) Fritz Neuhauser, Regina Würfl, Tina Bauernfeind und Marion Natterer.

Die Sonne wärmt den Asphalt. Der Himmel über der Klinik Hietzing in Wien ist blau, und so wie es aussieht, wird sich heute auch keine Wolke mehr blicken lassen. Ganz offensichtlich ein Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch. Und trotzdem wird Regina Würfl auch an diesem Tag ihre Patientinnen und Patienten von der psychiatrischen Abteilung nach der aktuellen Wetterlage fragen: Stürmisch? Bedeckt? Frostig? Sonnig? Hier geht es nicht ums Wetter, so viel ist klar. Würfl, Diplomkrankenpflegerin und seit zwei Jahren auch akademische Gartentherapeutin, will wissen: Wie fühlen sich die Patientinnen und Patienten? Wie steht es um ihre emotionale Wetterlage? Je nach Stimmung wird sie jedem von ihnen eine Aufgabe im weitläufigen Garten der Klinik zuteilen. Graben, jäten, pflanzen. Denn dazu sind die Patientinnen und Patienten aus dem Klinik­gebäude gekommen: zur Gartenarbeit, die gleichzeitig auch Therapie ist. Therapeutinnen gibt es zwei: Regina Würfl und die Natur.


Viele Wochen in der Psychiatrie

In geblümter Kapuzenjacke und mit rosa Seidenblume im Haar zupft Regina Würfl an diesem Nachmittag ein welkes Blatt von einem Apfelbaum. An jener Stelle im Therapiegarten, an der in Kürze jede Menge echter Blumen blühen sollen. „Hier planen wir einen Bauerngarten“, sagt sie und deutet auf ein Beet, in dem noch Rüben und Kohlrabi vom Vorjahr im Boden stecken. Wer in Zukunft im Bauerngarten in der Erde werkt, hat die Psychiatrie im Rücken, die im historischen Gebäude des Pavillon 1 mit roter Backsteinfassade untergebracht ist. Unmittelbar am Zaun des Geländes fährt die Straßenbahn vorbei. Die Patientinnen und Patienten, mit denen Regina Würfl arbeitet, verbringen Tage, Wochen, Monate in der Klinik. Sie leiden an Depressionen, Borderline-Störungen, an Schizophrenie oder anderen psychiatrischen Erkrankungen. Kleinigkeiten sind das nicht – und da soll es helfen, Apfelbäume zurückzuschneiden oder selbst gezogene Tomatenpflänzchen ins Beet zu setzen? Das tut es, und zwar überraschend gut. Gartentherapie ersetzt zwar keine medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlungen. Doch sie ergänzt sie und kann aktivierend, stimmungsaufhellend und
stabilisierend wirken.

 

Dipl.-Ing. Birgit Steininger, Leiterin Universitätslehrgang für Gartentherapie an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik

 

„Der Aufenthalt in der Natur wird ganz gezielt zum Erhalt oder zur Verbesserung der psychischen und physischen Gesundheit eingesetzt.“

 

Text: Sandra Lobnig⎪Fotos: Barbara Nidetzky, Michaela Mosser

 

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„Nirgends kann man so gut scheitern lernen wie im Garten“

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